Mittwoch, 2. Januar 2019

Einfluss der Kirchen auf die Politik - "Demokratisch skandalös"

Einfluss der Kirchen auf die Politik - "Demokratisch skandalös"

 Tag für Tag„Demokratisch skandalös“ 31.12.2018

Einfluss der Kirchen auf die Politik„Demokratisch skandalös“

Carsten
Frerk bezeichnet sich selbst als „evidenzbasierten Skeptiker“. In
seinen Büchern befasst sich der Politikwissenschaftler kritisch mit dem
Verhältnis von Staat und Religion. Die christlichen Kirchen seien
mächtiger als andere Lobby-Organisationen, sagt er. Aber er sieht
Veränderungen.
Carsten Frerk im Gespräch mit Christiane Florin
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Sozialwissenschaftler Dr. Carsten Frerk auf der Säkularen Woche der Menschenrechte 2018 (imago stock&people)
Dr. Carsten Frerk, Sozialwissenschaftler und Leiter der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland auf der Säkularen Woche der MenscheSozialwissenschaftler Dr. Carsten Frerk auf der Säkularen Woche der Menschenrechte 2018nrechte 2018 (imago stock&people)
Christiane Florin:
Der Politikwissenschaftler Carsten Frerk recherchiert seit fast zwanzig
Jahren, wie viel Geld die Kirchen vom Staat bekommen, welchen Einfluss
Kirchen auf Gesetze nehmen und welche Politikerinnen und Politiker dafür
besonders empfänglich dafür sind. Carsten Frerk hat den Humanistischen
Pressedienst aufgebaut und er schreibt Bücher, zuletzt eines mit dem
Titel „Kirchenrepublik Deutschland“. Seine Werke sind Bibeln für alle,
denen die Trennung von Kirche und Staat, von Religion und Politik nicht
weit genug geht.

Heute ist Silvester, benannt nach einem
papstähnlichen Mann des 4. Jahrhunderts, von dem lange behauptet wurde,
er habe Kaiser Konstantin von der Lepra geheilt und dafür ein
kaiserliches Geschenk bekommen, den Lateran-Palast in Rom. Das stimmt
nicht, was aber stimmt ist, dass Silvester Bischof von Rom war, als das
Christentum auf dem Weg zur Staatsreligion war. Mit Carsten Frerk habe
ich vor der Sendung gesprochen, und ich wollte zunächst von ihm wissen,
ob es ihn ärgert, dass dieser prominente Tag nach einem Kirchenmann,
nach einem Heiligen benannt ist?

Carsten Frerk:
Nein, es ärgert mich gar nicht, weil ich denke, dass die meisten
überhaupt diese Bedeutung gar nicht mehr kennen. Dass damit ein Papst
verbunden ist, das ist, ja, wer weiß das schon?

Florin: Es freut Sie also, wenn immer weniger Deutsche wissen, was hinter Feiertagen oder hinter Namen steckt.

Frerk:
Nein, nein. Ich denke schon und das ist auch, finde ich, schon wichtig:
Wir sollten uns auch mit Religion beschäftigen, weil viele, viele Dinge
sind eben nur über den Einfluss von Kirche und Religion zu verstehen.
Deshalb ist es schon wichtig, auch eine Religionswissenschaft zu haben,
eine Religionskunde, da bin ich absolut dafür. Es muss nicht ein
Religionsunterricht sein einer Konfession. Das ist überflüssig.

Florin:
Wie bezeichnen Sie sich eigentlich selbst: Atheist, Humanist,
Freidenker? Dass Sie Politikwissenschaftler sind, weiß ich. Dass Sie
nicht Kirchenkritiker genannt werden wollen oder nicht als solcher
vorgestellt werden wollen, auch. Aber wie bezeichnen Sie sich selbst?

„Sogenannte Väter – Gottvater,  Heilige Väter – konnten mich nie beeindrucken“

Frerk:
Ich bin mit einem abwesenden Vater aufgewachsen. Das heißt, Pastoren,
Priester, Patres, sogenannte Väter, wie der der heilige Vater oder
Gottvater, haben mich nie beeindrucken können, denn ich kannte diese
Figuren gar nicht, habe keine Zuneigung oder Respekt oder Angst
davor. Deshalb würde ich sagen, auf der Basis der Erklärung der
Allgemeinen Menschenrechte, verstehe ich mich als evidenzbasierten
Skeptiker. Bei Atheisten gibt es ja immer nur diese beiden schönen
Stellen: Heinrich Böll hat in den „Ansichten eines Clowns“ gesagt,
Atheisten sind langweilig. Frage: Warum? Ständig reden sie über Gott.
Woody Allen hat gesagt, „Für Sie bin ich ein Atheist, für Gott bin ich
die loyale Opposition“.

Florin: Also ein
evidenzbasierter Skeptiker. Ist nicht ganz einfach auszusprechen, aber
gut. Hat Religion in Ihrem Leben mal eine positive Rolle gespielt?

Frerk:
Durchaus. Ich war, die ersten Jahre war ich nichtgetauftes Kind, sechs
Jahre lang, glaube ich, im christlichen Zeltlager. Und deshalb kann ich
heute noch viele Kirchenlieder besser singen als viele Kirchenmitglieder
im Gottesdienst.

Florin: „Gott sei Dank“ oder
ein anderes Stoßgebet, kommt das über Ihre Lippen? Oder ist das dann der
evidenzbasierten Skepsis zum Opfer gefallen?

Frerk:
Nein, nein. Das ist ja die christliche Prägung auch unserer Kultur und
Prägung oder die Beeinflussung. Ich habe mit Michael Schmidt-Salomon ein
Buch geschrieben: „Die Kirche im Kopf“.  Wo wir einfach mal so
zusammengetragen haben, wie viele Begriffe und es, also, im
Sprachgebrauch gibt, die teilweise gar nicht mehr so bekannt sind. Und
auch diesen schönen Begriff: Heidenspaß statt Höllenqual. Denn alles,
was die Christen ja dann ablehnten, Heidenlärm und Heidenspaß, und
deshalb denke ich, habe ich mich damit schon beschäftigt.

„Eine Entdeckungsreise durch ein für mich unbekanntes Deutschland“

Florin: Sie haben Politikwissenschaft studiert.

Frerk: Ja.

Florin:
Da gehört das Staatskirchenverhältnis nicht zu einem der wichtigsten
Themen. In Ihrem Werk ist es aber das wichtigste Thema. Sie beschäftigen
sich ganz besonders damit, wie Staat und Kirche unselig zusammenwirken –
Ihrer Ansicht nach. Wie kamen Sie darauf?

Frerk:
Es war zufällig entstanden. Ich hatte einen Roman veröffentlicht und
dabei die Erfahrung gemacht, dass sich immer die Figuren
verselbstständigt haben beim Schreiben. Was ich aber sehr ungewohnt fand
und da habe ich gesagt, jetzt schreibe ich nur noch Sachbücher, keine
Belletristik mehr. Und da war die schlichte Frage, was interessiert
mich, was interessiert Verlage oder auch Menschen. Da war die Frage: Wie
ist das eigentlich mit der Kirche bestellt in Deutschland? Das wird an
jedem Stammtisch diskutiert. Und dann stellte ich fest, es gibt dazu
kaum Literatur, ein Spiegel-Redakteur hatte das mal in den 60ziger
Jahren probiert, ist schlicht dran gescheitert. Und ich habe dann das
Glück gehabt, dass ich darüber schon so eine Schneise hatte und dann mit
dem beginnenden Internet – das ist jetzt auch schon 18 Jahre her – doch
mehr auf Quellen, auf Adressen, auf Telefonnummern gestoßen bin, als es
in den 60ziger Jahren möglich gewesen wäre. Und das war für mich eine
Entdeckungsreise durch ein für mich bis dahin unbekanntes Deutschland.
Ich bin immer wieder zu meiner Frau gelaufen – über einen langen Flur –
und habe gesagt: „Stell dir vor, die Benediktiner unterbieten mit ihren
Druckereien die Preise der gewerblichen Wirtschaft als Gottesdienst“,
und so was alles. Das hatte ich vorher überhaupt nicht wahrgenommen.

Florin:
„Kirchenrepublik Deutschland“ heißt eines Ihrer Bücher. Das ist das
Terrain, das Sie da, ja, erkundet haben, das Neuland, das Sie erst mal
betreten haben. Nun gehören ja immer noch um die 55 Prozent der
Deutschen einer der beiden großen Kirchen an. Was ist daran so skandalös
an dieser „Kirchenrepublik“?

„Demokratisch skandalös“

Frerk:
Es ist, finde ich, demokratisch skandalös, indem die Kirchen ohne
irgendeine rechtliche Grundlage am Gesetzgebungsverfahren von Anfang an
mit einbezogen sind. Es gibt eine gemeinsame Geschäftsordnung der
Bundesministerien, also auch der Bundesregierung in denen genau geregelt
wird, welche Lobbyverbände unter welcher Situation, in welchem Stadium
und so weiter Zutritt haben  oder auch gehört werden. Bei den Kirchen
ist das seit im Grunde Gründung der Bundesrepublik Deutschland ein
automatischer Prozess, bei den ersten Formulierungen sind die schon
dabei. Und das finde ich ist schlicht undemokratisch.

Florin: Aber es könnte doch im Sinne dieser gut 55 Prozent der Deutschen sein.

Frerk:
Ich hoffe nicht, weil meines Erachtens sollte der Staat oder muss der
Staat sich weltanschaulich neutral verhalten. Der Staat ist die
Heimstadt aller Bürger, hat das Verfassungsgericht mal gesagt. Und durch
diese so intensive Verquickung von Staat und Kirche, die ja auch
personell, also dutzendfach und so weiter, stattfindet, wird diese
Neutralität – für alle Bürger – nicht hergestellt.

Florin:
Aber religionsneutraler Staat heißt ja nicht, dass Religion
neutralisiert wird im Sinne, dass sie nicht vorkommt, sondern es heißt,
es ist ein gleicher Abstand zu allen und es können ja auch andere
Einfluss nehmen oder es nehmen ja auch andere Einfluss auf den
Gesetzgebungsprozess, zum Beispiel organisierte Humanisten, organisierte
Atheisten. Also, was ist an den Kirchen besonders skandalös?

„Die Kirchen sind vielfach mehr privilegiert“

Frerk:
Sie sind so vielfach mehr privilegiert als alle anderen
Weltanschauungs- oder Religionsgemeinschaften, und dass ist das
Eigentliche. Wenn es diese gleiche Distanz gäbe – also Äquidistanz –
dann müssten auch solche Humanisten-Tage finanziell gefördert werden,
dann müsste es Professoren für Humanisten oder für säkulare Philosophie
oder was immer geben, alles das gibt es nicht. Wir haben, glaube ich,
720 Professoren in der Theologie und keinen einzigen für Humanistik.

Florin:
Ich habe hier eine Allensbach-Umfrage, die ist ungefähr ein Jahr alt,
demnach sagen 48 Prozent der Deutschen, das Christentum solle eine
bevorzugte Stellung einnehmen, 34 Prozent – also deutlich weniger –
sagen, alle Religionen sollten gleichberechtigt werden. Eine relative
Mehrheit sagt, das ist gar kein Problem, wenn die Kirchen bevorzugt
werden. Sie rennen da gegen eine relative Mehrheit an.

Frerk:
Na ja, diese Mehrheit schwindet von Jahr zu Jahr. Das neueste Datum –
was mich auch überrascht hat – ist zum Beispiel, dass die beiden großen
christlichen Kirchen in Köln nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung
stellen. Und das ist ein Trend, der insgesamt in Deutschland auch
weitergeht und weitergeht. Auch die Jugend wird von der Kirche im Grunde
nicht mehr erreicht, das heißt diese sinnstiftende Situation, die die
Kirche lange innehatte – nach dem Krieg noch als Heilskirche und so
weiter – verflüchtigt sich immer mehr.

Florin:
Ist es wie bei kommunizierenden Röhren, profitieren die Humanisten oder
profitiert der Verband der Konfessionsfreien davon? Ich habe jetzt da
keinen Mitgliederansturm bemerkt, in dem Sinne: die einen laufen den
Kirchen weg und laufen anderen Organisationen zu.

Frerk:
Nein. Die normale Reaktion ist, auch wenn ich mit Menschen darüber
rede, dass sie sagen: Ich habe mir nicht das eine Brett vom Kopf
abgenommen, um mir ein anderes Brett draufzusetzen. Das heißt, es wächst
auch eine Jugend heran oder ist schon herangewachsen, die so
pragmatisch ist, dass die sich von keinem organisieren lässt. Weltweit
gibt es ja Studien, über die sogenannten Non-Affiliated oder jene, die
sich keiner Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen. Eines der
Kennzeichen überall, in den USA, in Europa, so was, dass sie sich nicht
organisieren.

Florin: Die Mehrheit reicht
politisch nicht – oder vielleicht noch nicht –, um zum Beispiel die
grundgesetzlichen Grundlagen zu ändern. Denn vieles von dem, was Sie
kritisieren steht im Grundgesetz. Warum sind Sie offenbar nicht so
überzeugend, dass es zu einer Grundgesetzänderung reicht?

Frerk:
Oh je. Ich denke, die Kraft der Argumente ist gegen die Kraft eines
Lobbyismus nur sehr schwach. Aber ich setze auf Folgendes, die beiden
Kirchen verlieren im Schnitt im Jahr 0,6 Prozentpunkte ihrer Mitglieder.
Das heißt, die beiden großen Kirchen werden ungefähr in vier oder fünf
Jahren nicht mehr die  Mehrheit der Bevölkerung haben. Und da, denke
ich, wird das Staatskirchenrecht auch drauf reagieren müssen, weil es
nicht mehr normal ist – eben immer dieser Mehrheitsbegriff – Mitglied
einer der beiden großen Kirchen zu sein. Dass dann einige tradierte
Dinge sich verändern werden, da bin ich sehr froh. Dass sich zum
Beispiel ein Institut für Weltanschauungsrecht – IFW – gegründet hat, wo
doch namenhafte Rechtsprofessoren, Strafrechtler, diesen Anliegen, nach
diesem rechtlichen Anliegen ein sehr klares Gehör verschaffen.

Florin: Was wäre besser, wenn die Kirchen weniger Einfluss hätten?

Frerk:
Es gab früher diesen Satz „Von der Wiege bis zur Bahre – christliche
Talare“, das heißt, diese ganze Lebensbegleitung. Und das ist immer noch
vorhanden. Wenn es jetzt um 219a  geht, also, wo eine Ärztin, die
darüber informiert, dass sie Abtreibungen vornimmt, bestraft wird, weil
es sei Werbung – nur die Information wird schon als Werbung
klassifiziert. Und wo dann im Augenblick ja auch der Streit drüber ist,
wird das gestrichen, wird das modifiziert und was im Raum steht ist ein
so windelweicher Kompromissvorschlag. Aber muss man sich wundern, wenn
die beiden Parteivorsitzenden von der SPD und von der CDU sich im
Zentralkomitee der Deutschen Katholiken treffen und dort miteinander
reden können? Mich wundert da gar nichts mehr. Daher ja auch dieser
Begriff Kirchenrepublik.

Florin: Aber tun Kirchen
nicht auch etwas für den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Selbst Jürgen
Habermas – der nicht als eifriger Christ bekannt ist – hat in diesem
Gespräch mit Josef Ratzinger – ist nun schon eine Weile her, aber egal
–, hat in diesem Gespräch mit Josef Ratzinger gesagt, dass Religionen
für den vorpolitischen Raum wichtig sind, dass sie der Gesellschaft
etwas geben können und nicht nur – wie Sie es jetzt darstellen – raffen
und an Macht und Geld interessiert sind.

„Die Kirchen habe diese sinnstiftende Funktion nicht mehr“

Frerk:
Können. Das Wort „Können“ ist völlig richtig. Aber tun sie es denn
auch? Und da sehe ich einfach alle möglichen Belege, dass sie diese
sinnstiftende Funktion, die die früher mal hatten – unbestreitbar –,
nicht mehr haben. Es gehen von den Katholiken nur noch 10 Prozent
regelmäßig in die Kirche und von den Evangelischen sind es nur noch 3
Prozent. Und wenn Sie sich mal, ich möchte ja auch dieses
Forschungsgruppe Weltanschauung in Deutschland und bin mit diesen Zahlen
immer wieder auch beschäftigt, wie viele der Kirchenmitglieder sich als
nichtreligiös bezeichnen, deshalb ist das einfach immer, gehört zum
Lobbyismus der Kirchen, zu sagen, wir sind wichtig und wenn es dann ganz
schlimm wird, dann muss der alte Dostojewski ran: „Ohne Gott ist alles
erlaubt.“

Florin: Das klingt ja jetzt etwas verschwörungstheoretisch.

Frerk: Nein, nein.

Florin:
Wenn ich mir Mitgliederbefragungen anschaue der katholischen wie der
evangelischen Kirche, dann stimmt es: Die meisten Menschen nehmen den
Gottesdienst als Kernangebot überhaupt nicht in Anspruch, aber eine
Mehrheit sagt: Ich finde es irgendwie wichtig, dass es die Kirchen gibt.
Und Sie sagen, das ist Ergebnis einer erfolgreichen Lobby-Arbeit.

Frerk:
Ja. Es fängt doch schon an mit der Kindestaufe, wo man sich nicht gegen
wehren kann. Und dann die Schwierigkeiten dann auszutreten, weil dann
ist die Großmutter traurig und so weiter. Dieses Ganze auch, was ich
immer wieder erlebt habe, strukturelle Gewalt in der Fläche, wo man
Leute mir sagen, ich bin ganz Ihrer Meinung, aber ich kann nicht aus der
Kirche austreten, weil ich bin freiberuflich, selbstständig und das
wäre für mich der wirtschaftliche Tod, wenn ich hier aus der Kirche
austrete, weil ich würde sofort gesellschaftlich geächtet und gemieden.
Und da kommen verschiedene Elemente zusammen, warum Religion immer noch
diesen Platz beansprucht und auch zugebilligt bekommt. Wenn ich dann so
sehe, was der Papst in den letzten Wochen im Grunde erzählt hat, also
dieses Ding praktisch, dass eine Abtreibung ein Auftragsmord ist, da
sage ich mir, und dieser Mann, der so über Frauen und über Ärzte redet,
gilt als moralische Autorität?

„Die Häuptlinge habe keine Gefolgschaft mehr“

Florin:
Aber man kann ihm widersprechen. Und es wird ihm ja auch widersprochen.
Auch von katholischen Gläubigen. Man muss das ja nicht glauben, was der
Papst sagt. Auch nicht als Katholikin und Katholik.

Frerk:
Das ist völlig richtig und ich kenne da genügend Katholikinnen, die das
überhaupt nicht so sehen und auch da sehr unglücklich mit sind. Das
heißt also, diese alte These wirklich, die Häuptlinge, das heißt die
ganzen Excellenzen, Eminenzen der hochwürdigsten Herren haben überhaupt
keine Gefolgschaft mehr. Aber, welches Menschenbild steckt hinter diesem
Mann als oberstem Vertreter, als Stellvertreter Gottes?  Was hat der
Weihnachten in der Ansprache gesagt? Der Mensch ist gierig und
unersättlich. Hallo, wo lebt der Mann eigentlich? Das heißt, diese ganze
Restkategorie, das berühmte Böckenförde Diktum, das ist ein langes
Zitat, wo ein Jurist und späterer Verfassungsrichter mal gesagt hat, der
Staat beruht auf Voraussetzungen, die er nicht selber erzeugen kann
und  da kommt eine ganz, ganz lange Begründung, warum das alles so ist
und das hat die Kirche auf diesen einen Satz verkürzt, auf
Überzeugungen, die er nicht selbst erzeugen kann, denn dafür braucht der
Staat die Kirche. Das ist das Glaubensbekenntnis, was sie verbreiten,
was überall, wenn die Bunderegierung zur Eröffnung der Legislaturperiode
oder zur Bundesversammlung in die Hedwigs-Kathedrale in Berlin geht und
alle singen. Und das ist dieser ganze Durchzug, der durch diese
politische Klasse geht.

„Not lehrt beten“

Florin:
Aber wenn ich jetzt auch noch mal evidenzbasiert drangehe, dann muss
ich doch sagen, die Prognose, die Erwartung vieler Atheisten,
Religionskritiker, dass mit der Aufklärung, mit dem Fortschritt in den
Naturwissenschaften die Religiosität sinke, hat sich nicht erfüllt.
Also, da scheint doch irgendwas im Menschen zu sein, was eine Sehnsucht
hat, sich an einem höheren Wesen zu orientieren, vielleicht nicht alles
immer ganz genau durchdenken oder beweisen zu müssen. Wie gehen Sie
damit um? Dagegen kommen Sie ja offenbar nicht an.

Frerk:
Wenn Sie da mal genauer hinschauen, dann sehen Sie auch, wo diese
sogenannten Zuwächse entstehen und das ist, ich sage es mal sehr
verkürzt: Not lehrt beten. Und das ist eben das Versprechen des
Himmelreiches, dass auch die Ärmsten der Armen noch für die neuesten
Brillanten des Bischofs das wenige Geld spenden, weil dadurch das
Versprechen des Himmelreiches noch glaubwürdiger wird. Diese Fähigkeit
der Kirche im Marketing Menschen verschiedenster Bildung,
verschiedenster Lebenssituationen etwas anzubieten, auf das sie ihre
Bedürfnisse, ihre Wünsche, ihre Hoffnungen projizieren können, das ist
die Riesenleistung. Schauen Sie in die USA, schauen Sie nach Westeuropa,
also eben in dann dort die Gegenden, wo auch tatsächlich die Frauen
gleichberechtigt sind, gebildet sind und so weiter, da verlieren die
Kirchen aber so eminent.

Florin:
Kirchenmitglieder – auch vor allem Kirchenverantwortliche – müssten ja
hocherfreut sein, wenn die Ihre Worte hören, denn Sie gestehen der
Kirche wesentlich mehr Macht zu, als die sich selbst. In den
Kirchen wird doch eher so ein Jammerton angeschlagen, das Ende der
Volkskirchen, man hat weniger Einfluss, man setzt nicht mehr alle
gesellschaftspolitischen Ziele durch. Nehmen Sie zum Beispiel die Ehe
für alle. Das wird in der katholischen Kirche als Niederlage gesehen,
dass die seit über einem Jahr staatlich erlaubt ist. Also, es stimmt gar
nicht, dass der Lobbyismus überall zum Erfolg führt.

„Bischöfe beanspruchen Autorität“

Frerk:
Nein, nein, ich habe nicht geschrieben Kirchenstaat Deutschland,
sondern Kirchenrepublik. Und über die Verwendung des Wortes Republik
heißt ja, dass es widerstreitende Interessen sind verschiedenster
Organisationen, aber die Kirchen einen unangemessen hohen und auch
intransparenten Einfluss haben. Das geht eben, wir hatten ja
vorhin Abtreibung und Strafbarkeit wegen Werbung kurz angesprochen, bis
dann zum Lebensende, indem der Bundestag am 6. November 2015 dieses
Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verabschiedet
hat, seitdem werden die Menschen alleine gelassen mit ihrer Not, denn
kein Arzt traut sich mehr den Menschen dort zur Seite zu stehen, wie in
den Niederlanden. Und gegen dieses Verfahren haben jetzt mehrere
Organisationen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das liegt jetzt seitdem
beim Bundesverfassungsgericht, was sich unglaublich schwertut, dazu
anscheinend eine Beurteilung der Stellungnahme einzureichen.

Florin:
Wir hatten am Freitag einen katholischen Theologen in der Sendung,
Magnus Striet von der Universität Freiburg, der sagte, die katholische
Kirche ist gar keine moralische Autorität mehr. Was Bischöfe von Kanzeln
verkünden, gerade auch an hohen Feiertagen, das rauscht eigentlich an
der Mehrheit der Menschen, auch an der Mehrheit der Katholikinnen und
Katholiken vorbei. Also, wer hat nun von Ihnen beiden Recht? Sie sagen,
wir sind noch eine moralische Autorität.

Frerk: Nein, nein.

Florin: Der Theologe sagt, sie sind es nicht.

Frerk:
Nein, nein. Das habe ich, sie beanspruchen diese Autorität. Wenn nur
noch 10 Prozent der Katholiken regelmäßig in den Gottesdienst gehen,
dann sehen Sie schon daran, dass diese Häuptlinge keine Indianer mehr
haben. Und trotzdem wird dieser Anspruch entwickelt und wird in allen
Lobesreden – auch der geneigten Politiker – immer wieder, sozusagen,
dargestellt. Und da fällt, was die Bevölkerung denkt, auch die
Katholiken, die Kirchenmitglieder und das, was die Elite macht in den
Parteien, in den hohen Kirchenfunktionen, völlig auseinander. Und diese
Widersprüche, ich habe mal mit einem der führendsten katholischen
Juristen auch diskutieren können – ich sage den Namen bewusst nicht –,
der sagte dann, das war gerade diese Phase, das Meissner im Grunde nicht
mehr Bischof war, und ich sagte: „Ich kann Ihnen darüber auch einen
Witz erzählen“, und er sagte: „Ja, verschonen Sie mich mit Ihren
säkularen Witzen über die Bischöfe, ich kann Ihnen Witze erzählen über
den Klerus, da würden Sie sogar noch rot werden“.

„Religionsfreiheit ist auch die Freiheit von Religion“

Florin: Was sagt uns das?

Frerk:
Wie halten das solche Leute aus? Dass sind die wichtigsten Vertreter
der Amtskirche in dem Verteidigen ihrer Rechte, die so abfällig im
Grunde über die Bischöfe reden, dass ich sogar rot werden würde. Ich
kann das nicht unter eine Mütze kriegen.

Florin:
Was müsste geschehen – politisch und kirchlich – damit der
evidenzbasierte Skeptiker Carsten Frerk sagt: Das ist jetzt für mich
eine erlösende, eine befreiende Botschaft?

Frerk:
Die Kirchen müssten, wie es in der Weimarer Republik war, das ist ja
die Veränderung von Weimar zu Bonn und jetzt Berlin, müssten so
behandelt werden, wie alle anderen gesellschaftlichen Organisationen
auch – so schlicht und ergreifend wäre das.

Florin: Und was müsste dafür geschehen? Wer müsste da aktiv werden? Der Gesetzgeber?

Frerk:
Es müsste nur ein Satz im Grundgesetz ergänzt werden, der bei der
Übernahme der Kirchenartikel aus der Weimarer Reichsverfassung nicht
übernommen worden ist, und zwar, dass die staatlichen Gesetze Vorrang
vor den Religionsgeboten haben. Also, es besteht eine Religionsfreiheit,
das ist überhaupt keine Diskussion, da steht auch wirklich Recht in der
allgemeinen Erklärung der Menschenrechte drin, das ist alles korrekt.
Was ja auch heißt: Religionsfreiheit ist die Freiheit von Religion,
nicht nur für Religion, sondern auch von Religion. Aber der Vorrang der
allgemeinen Gesetzen vor Religionsgeboten. Dann hätten wir wirklich viel
Chancengleichheit für alle auf dem Marktplatz von Weltanschauung und
Religion sich zu verständigen, zu diskutieren und gemeinsam einen Weg zu
suchen.

Florin: Aber das Grundgesetz formuliert
doch nicht einen Vorrang religiöser Gebote vor weltlichen Geboten. Es
gibt den Kirchen, es gibt den Religionsgemeinschaften eine Möglichkeit,
sich selbst zu organisieren. Aber wir sehen doch hier zum Beispiel an
der Arbeitsrechtsprechung, dass da Druck auf die Kirchen ausgeübt wird.

„Die Kirchen stellen einen rechtseigenen Raum da“

Frerk:
Die Europäische Union hatte ja 2000 bis 2002 ihre Richtlinien zur
Antidiskriminierung rausgebracht und daraufhin wurde dann 2006 in
Deutschland nach heftigem Druck der Europäischen Union nun mal was zu
tun, dieses allgemeine Gleichstellungsgesetzt verabschiedet, mit dem
Artikel 9, dass die Kirchen Loyalitätsrichtlinien aufstellen dürfen, die
nicht als Diskriminierung gelten. Ganz allgemein. Da sind viele Leute
entlassen worden, weil sie sich wiederverheiratet haben oder weil sie
homosexuell waren und das öffentlich wurde und so weiter alles. Was
jetzt im abgelaufenen Jahr passiert ist, ist, dass der Europäische
Gerichtshof Deutschland wieder auf diese europäische Richtlinie, dass
diese Ausnahme nur für Leitungs- und Verkündigungspositionen gilt, auch
in Deutschland gelten muss. Das heißt, mal so allgemein gesagt, die
Kooperation als Kirche hat bestimmte Rechte, auch auf Artikel 114
Grundgesetz, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu organisieren. Aber
sie hat dadurch nicht das Recht, in die allgemeinen Menschenrechte ihrer
Mitglieder, ihrer Beschäftigten einzugreifen. Da hört es auf. Das ist
jetzt die Abwägung, die auch von dem europäischen Gericht immer sehr
klar gemacht wird und die sich auch allmählich – hoffentlich auch im
deutschen Recht – dann eher darstellt.

Dieses Prinzip, dass die
Kirchen ihre Angelegenheiten, ihre eigenen, selbstorganisieren, das ist
wirklich so der Ausbau, dass die Kirchen selber einen rechtseigenen Raum
darstellen, indem sie selber bestimmen, was zu ihren eigenen
Angelegenheiten gehört. Und da haben wir dann wieder auch die Brücke zum
Missbrauch, weil die Kirchen haben immer gesagt, Missbrauchsfälle von
Klerikern sind unsere eigenen kirchlichen Angelegenheiten, die wir
intern nach Rom melden und selber verhandeln, da hat der Staat nichts zu
suchen. Es geht ja darum, die Kirche eigentlich, wie Papst und sagen,
ja, hier, Riesenproblem und Riesenunglück und das darf nie wieder
geschehen und so weiter heraus, aber es tut sich nichts. Das ist ja das
Phänomen. Weil der Staat offensichtlich nicht bereit ist der Kirche
klare Vorgaben zu machen, wie auch dort Priester sich zu verhalten haben
oder die Kirche sich zu verhalten hat, sondern sie diesen eigenen,
rechtseigenen Raum immer noch akzeptieren.

Florin: Würden Sie sich eine unabhängige Aufklärungskommission wünschen, wie es die zum Beispiel in Irland gegeben hat?

Frerk: Fände ich sehr sinnvoll.

Florin:
Jetzt haben wir doch hauptsächlich mit dem Skeptiker über Kirchen und
über die Religion gesprochen. Das scheint unvermeidlich. Herr Frerk, ich
danke Ihnen für das Gespräch.

Äußerungen unserer
Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der
Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in
Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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